Think Better
Ganz gleich, wie sehr Sie dieser Artikel auch interessiert – Sie werden ihn jetzt wahrscheinlich nicht bis zum Ende lesen, vor allem dann nicht, wenn Sie gerade im Büro sind.
Plötzlich wird nämlich ein anderer Text viel wichtiger sein, oder Sie sehen, dass neue E-Mails eingegangen sind. Es könnte aber auch sein, dass Sie einen Kollegen an einem der Nachbarschreibtische Ihren Namen sagen hören, sodass Sie Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, worum es dabei wohl gehen könnte. Danach sind Sie in Gedanken wieder bei den E-Mails – jedenfalls solange, bis Sie Ihren Chef sehen, der Sie vermutlich gleich nach den neuen Ideen fragen wird, die Sie seit einer Woche abliefern sollen. Also gehen Sie ins Internet, um weitere Informationen zu sammeln. Weil Sie keine Mittagspause hatten, sich nicht konzentrieren können und sich über den Berg Arbeit ärgern, der noch vor Ihnen liegt, aber auch weil Sie gerade ohnehin online sind, sehen Sie bei Facebook nach und bemerken zufällig, dass Ihre beste Schulfreundin heute Geburtstag hat. Am Ende lesen Sie alle 73 Glückwünsche, die sie bislang erhalten hat, und entscheiden sich, dass Sie ihr nicht schreiben, sondern sie doch lieber kurz anrufen – während Sie nebenbei noch immer Ihre E-Mails checken. Nachdem Ihnen schließlich siedend heiß eingefallen ist, dass Sie in ein paar Minuten zu Ihrer für heute dritten Besprechung müssen, fühlen Sie sich so gestresst wie kaum je zuvor, sodass Sie dringend einen großen schwarzen Kaffee und einen extra Espresso brauchen, um während der Besprechung weiter an Ihren Ideen zu arbeiten.
ZU VIEL INFORMATION
Szenarien nahezu permanenter Ablenkung am Arbeitsplatz sind für die meisten Menschen kein Ausnahmezustand, sondern Normalität. Es ist nicht zu übersehen, dass die Fülle von Informationen zu deutlichen Aufmerksamkeitsdefiziten führt, und dass die meisten Büromitarbeiter solche geistigen Belastungen jeden Tag erleben. Im gleichen Maße wie wir in Informationen ertrinken, wird von uns erwartet, dass wir diese schneller verarbeiten – um neue Erkenntnisse zu gewinnen, Bewertungen vorzunehmen, Entscheidungen zu treffen oder zumindest, um rasch das weitere Vorgehen festzulegen. Im Wissen um einen akuten Handlungsbedarf und mit einem Verstand so chaotisch wie ein Schrottplatz, bemühen wir uns einen Weg zu finden, mit dem wir irgendwie zurechtkommen
Es ist nicht zu übersehen, dass die Fülle von Informationen zu Aufmerksamkeitsdefiziten führt, und dass die meisten Büromitarbeiter solche geistigen Gefechte jeden Tag erleben.
Zugleich sehnen wir uns danach, im Job effektiver zu sein und reden uns immer wieder ein, dass wir noch konzentrierter, noch härter arbeiten müssen. Doch egal, wie sehr wir dies auch versuchen – unser Gehirn funktioniert anders. Wir verfügen zwar über ausgeprägte kognitive Fähigkeiten, die uns von anderen Säugetieren unterscheiden, doch Teil unserer evolutionären Geschichte und wesentlich für unser Überleben ist es eben auch, stets genau darüber Bescheid wissen zu wollen, was um uns herum passiert. Das bedeutet, dass uns die heutige Art zu arbeiten in eine paradoxe Situation bringt: Wir folgen dem natürlichen Drang, die Ablenkungen unseres Umfelds bewusst wahrzunehmen und trainieren unser Gehirn dazu, diese Fähigkeit zu verstärken.
Das Phänomen der schwindenden Aufmerksamkeit findet in Unternehmen immer weitere Verbreitung. Allerdings kämpfen viele dagegen an, ohne zu wissen was Aufmerksamkeit eigentlich ist, wie sie z.B. funktioniert, wie man sie gewinnt und wie sie sich produktiv einsetzen lässt. Zum Glück und gerade zur richtigen Zeit werfen die Forschungen von Neurowissenschaftlern aus weltweit rund 40.000 Laboren nun neues Licht auf die maßgeblichen Zusammenhänge. Zugleich liefern sie klare Anhaltspunkte wie sich die Aufmerksamkeit am Arbeitsplatz besser unterstützen lässt.
Dank der zahlreich vorliegenden Forschungsarbeiten wird immer deutlicher, dass die Lösung vieler Herausforderungen, denen wir am Arbeitsplatz begegnen, direkt mit dem intelligenteren Umgang mit diesem rund 1,3 Kilo schweren Organ in unseren Köpfen verknüpft ist.
Während des letzten Jahres haben sich Steelcase Forscher und Designer mit den Arbeiten von Neuround Kognitionswissenschaftlern auseinandergesetzt und die dabei gewonnenen Erkenntnisse mit eigenen Untersuchungen zu Verhaltensweisen von Büromitarbeitern und zur sich wandelnden Arbeitswelt zusammengeführt. Die Übereinstimmung beider Ansätze inspirierte zu neuen Perspektiven und Ideen zur Frage, wie sorgfältig geplante Arbeitsumgebungen die Menschen effektiv dabei unterstützen können, ihre Aufmerksamkeit besser zu steuern. Gelingt dies, resultieren daraus vielfältige Wettbewerbsvorteile: ein höheres Mitarbeiterwohlbefinden und eine Steigerung deren Engagements, mehr Kreativität und Innovationskraft und letztlich eine insgesamt verbesserte Unternehmensleistung.
„Die Anforderungen an die Aufmerksamkeit der Menschen steigen, und so wird es zunehmend wichtig, unsere kognitiven Ressourcen optimal einzusetzen“, sagt Donna Flynn, Vice President von Steelcase WorkSpace Futures. „In der Auseinandersetzung mit den neurowissenschaftlichen Forschungsarbeiten haben wir erkannt, dass wir die menschlichen Bedürfnisse am Arbeitsplatz umso besser verstehen je mehr wir darüber wissen, wie das Gehirn unser körperliches, kognitives und seelsisches Wohlbefinden formt. Nun versuchen wir herauszufinden, wie sich all die neuen Erkenntnisse nutzen lassen, damit die Menschen im Büro besser denken können.
WARUM WIR SO OFT ABGELENKT SIND:
3 minuten | So häufig werden Büromitarbeiter durchschnittlich unterbrochen oder abgelenkt University of California, Irvine |
23 minuten | So lange dauert es, um sich nach einer Störung wieder auf seine Aufgaben konzentrieren zu können University of California, Irvine |
204 millionen | Pro minute gesendete e-mails Mashable |
8 | Durchschnittliche anzahl der gleichzeitig am bildschirm eines büromitarbeiters geöffneten fenster “The overflowing brain: information overload and the limits of working memory”, torkel klingberg |
30 | Durchschnittliche Häufigkeit pro Stunde, mit der Büromitarbeiter ihre E-Mails checken National Center for Biotechnology Information |
221 mal | Durchschnittliche Häufigkeit pro Tag, mit der britische Smartphone-Besitzer nach ihrem Gerät sehen Tecmark |
4,9 milliarden | Geräte mit Internetzugang im Jahr 2015 Gartner |
200 percent | Durchschnittliche Zunahme der mit mobilen Geräten verbrachten Zeit seit 2012 GlobalWebIndex |
49 percent | Prozentsatz der Mitarbeiter, die nicht selbst entscheiden können, wo sie ihre Aufgaben erledigen Steelcase wellbeing study, global average of 17 countries |
AUFGEPASST: DAS IST IHR GEHIRN
Lexika liefern meist nur einfache Erklärungen für den Begriff Aufmerksamkeit: in der Regel geht es dabei darum, etwas im Bewusstsein zu halten. Kognitionswissenschaftler haben dagegen ein weitaus differenzierteres Verständnis und definieren unterschiedliche Arten der Aufmerksamkeit – je nachdem welche Bereiche des Gehirns beteiligt sind. Dr. Torkel Klingberg zum Beispiel, der als Professor am renommierten schwedischen Karolinska Institute für kognitive Neurowissenschaften lehrt, sieht zwei Typen: die kontrollierte und die von äußeren Reizen beeinflusste Aufmerksamkeit. Beim ersten Typ dreht sich alles um das gezielte Fokussieren auf bestimmte Inhalte, beim zweiten stehen äußere Faktoren im Mittelpunkt, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Heute wissen wir, dass unsere Aufmerksamkeit von mehreren biologischen Mechanismen beeinflusst wird. Der oft als Entscheidungszentrum oder CEO des Gehirns bezeichnete präfrontale Cortex zählt dabei zu den evolutionsgeschichtlich jüngsten Bereichen – er ermöglicht die ganz bewusste Konzentration auf bestimmte Dinge. Zugleich sind sich Neurowissenschaftler aber auch einig, dass unsere Aufmerksamkeit keineswegs nur von diesem einen Bereich abhängt.
AUFMERKSAMKEIT VERSTEHEN:
„Um Aufmerksamkeit als solche verstehen zu können, brauchen wir nicht nur eine ganzheitliche Sicht auf unterschiedlichste Gehirnfunktionen, wir müssen vielmehr in größeren Kategorien denken und auch die von unserem Gehirn verarbeiteten Inhalte, unsere körperliche Verfassung und unser Umfeld berücksichtigen“, sagt Beatriz Arantes, Arbeitspsychologin und Forscherin bei Steelcase WorkSpace Futures.
Unser Zustand psychischer Erregtheit – mit anderen Worten: der Grad unserer Wachheit – ist ein überaus wichtiger Faktor, weil er ebenso variiert wie unsere Aufmerksamkeit. Wenn wir müde oder lethargisch sind, ist es genauso schwierig, aufmerksam zu sein, wie wenn wir hochgradig erregt sind und unser Kopf von einem Punkt zum nächsten springt. Wie gut wir unsere Aufmerksamkeit aufrechterhalten können, hängt wesentlich von einem idealen Erregungsniveau ab.
Eine andere Funktionseinheit des Gehirns, die unsere Aufmerksamkeit und Erregtheit maßgeblich beeinflusst, ist das auf mehrere Hirnregionen verteilte und vor allem der Emotionsverarbeitung dienende limbische System. Evolutionsgeschichtlich älter als der präfrontale Cortex fordert uns dieses System dazu auf, äußere Reize wahrzunehmen, die Angst oder Aufregung hervorrufen. John Medina, der als Molekular- und Entwicklungsbiologe an der Washington State University die Entwicklung des menschlichen Gehirns erforscht, schreibt hierzu: „Wir schenken langweiligen Dingen keine Aufmerksamkeit.“ Das heißt, dass das Gehirn naturgemäß eher auf das Unvorhergesehene reagiert, was uns wiederum leicht ablenkbar macht. Früher war es für das Überleben unerlässlich, auf Veränderungen der Umwelt zu reagieren, heute sorgt diese angeborene Veranlagung dafür, dass wir so sensibel auf Geräusche, Bewegungen und andere äußere Reize reagieren.
Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass wir unsere Aufmerksamkeit beim Multitasking bei jedem Aufgabenwechsel aufs Neue schnell wiederfinden müssen.
Natürlich kommen nicht alle Ablenkungen von außen. Wir lassen uns genauso auch von Gedanken und Sorgen ablenken. Die am MIT forschenden Neurowissenschaftler Trey Hedden und John Gabrieli fanden heraus, dass selbst verursachte Aufmerksamkeitsabfälle im mittleren präfrontalen Cortex entstehen, wo vor allem Gedanken über uns und andere Menschen verarbeitet werden. Dieser Bereich ist Teil des Ruhenetzwerks im Gehirn, das jene Grundstimmung entstehen lässt, die wir wahrnehmen, wenn wir uns gerade auf nichts anderes fokussieren.
Aufmerksamkeit ist aber auch eine Frage des Standorts: die Entfernung zu äußeren Reizen hat einen wesentlichen Einfluss darauf, wie intensiv wir sie wahrnehmen. Studierende, die in unmittelbarer Nähe ihres Dozenten sitzen, können sich leichter auf den Unterricht konzentrieren als weit entfernte Kommilitonen. Und Menschen, die sich mit anderen unterhalten, lehnen sich instinktiv nach vorn, um sich auf die andere Person zu fokussieren – was bei Telefonkonferenzen dazu führen kann, dass die Teilnehmer die ganze Zeit auf einen Telefonhörer starren.
WIE DAS GEHIRN BEIM ARBEITEN ARBEITET
Laut einem Bericht der Zeitschrift Science Communication betrachten die meisten Menschen neurowissenschaftliche Forschungen noch immer vor allem als Mittel zur Heilung psychischer Störungen oder Erkrankungen wie z.B. Alzheimer, und sind sich gar nicht bewusst, wie groß ihr direkter Einfluss auf ihren Alltag ist. Genauso wie die medizinische Forschung zu einer Reihe von Erkenntnissen zur Verbesserung unserer körperlichen Gesundheit geführt hat, erzielten Neurowissenschaftler jedoch eine Fülle von Forschungserfolgen zur Verbesserung unserer alltäglichen kognitiven Fähigkeiten.
Steelcase Forscher konzentrieren sich auf drei Schlüsselerkenntnisse der Neurowissenschaft, die erhebliche Auswirkungen auf unsere Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz haben.
Gehirne werden müde.
Viele Unternehmen handeln nach der Prämisse, dass sich Produktivität vor allem durch Konzentration erreichen lässt. Daher versuchen sie die Mitarbeiter so konzentriert wie möglich arbeiten zu lassen – für mindestens acht Stunden täglich, je länger desto besser.
Für Neurowissenschaftler ist Konzentration jedoch eine begrenzte Ressource. Wie der Rest unseres Körpers verbraucht auch das Gehirn Energie, und verwendet hierfür Glukose und Sauerstoff. Vor allem die kontrollierte Aufmerksamkeit ist harte Arbeit, die den präfrontalen Cortex stark beansprucht. Aktivitäten wie Analysieren, Abwägen, Planen und andere Arten des kritischen Denkens sind regelrechte Energiefresser. Nimmt die Energieversorgung ab, wird das Gehirn müde.
Gerade weil unser Gehirn so viel Energie braucht, haben die Menschen im Lauf der Zeit physiologische Mechanismen entwickelt, die sicherstellen, dass der endliche Energievorrat nicht verschwendet wird. Aus diesem Grund lassen wir uns auch eher ablenken, wenn der präfrontale Cortex mit schwierigen oder unwichtigen Aufgaben konfrontiert wird. Hierbei handelt es sich um eine Art Energiesparmechanismus, vergleichbar mit dem Herunterdrehen eines Thermostats.
„Unser Gehirn befindet sich in einem ständigen Kreislauf zwischen Hochform und Ruhezeiten, zwischen Phasen des Energieverbrauchens und der Regeneration“, sagt Arantes. „Körper und Gehirn bewegen sich in diesen Rhythmen, um stets wachsam zu bleiben und jederzeit auf wichtige Signale aus der Umgebung reagieren zu können.“
Problematisch wird es, wenn wir versuchen, fokussiert zu bleiben, obwohl unser Gehirn müde ist. Dann gibt es plötzlich eine Fülle von Ablenkungen, die dazu führt, dass wir schwierige Aufgaben meiden, Fehler machen, kaum lernfähig sind und nur wenig im Gedächtnis behalten können. Nimmt der Stress weiter zu, kommt es zum „Fight-or-flight-Syndrom“, das unser Nervensystem schließlich mit Cortisol und Adrenalin flutet. Resultat ist ein Zustand der Übererregung. Und anstatt gut zu arbeiten, werden auf diese Weise gestresste Menschen von Schuldgefühlen, Übellaunigkeit, Pessimismus und anderen unproduktiven Grundstimmungen geplagt.
„Nie zuvor in der Geschichte musste das menschliche Gehirn so viele Daten aufnehmen und verarbeiten.“
Der angesehene Psychiater und Autor Edward M. Hallowell hat ein neurologisches Phänomen entdeckt, das er als „Attention Deficit Trait“ (ADT) bezeichnet. Für ihn ist diese zeitweise Aufmerksamkeitsstörung die direkte Folge unserer reizüberfluteten Umwelt und ihrer Auswirkungen auf das Gehirn. „Nie zuvor in der Geschichte musste das menschliche Gehirn so viele Daten aufnehmen und verarbeiten“, sagt Hallowell und kommt zum Schluss, dass solche Überlastungen der wichtigste Grund dafür sind, dass intelligente Menschen beim Arbeiten manchmal nur unterdurchschnittliche Leistungen erbringen. Wir erwarten von unserem Gehirn einfach mehr als ihm dafür an Energie zur Verfügung steht.
„Es ist so als hätte das Gehirn einen Haushaltsplan. Wenn es hier 70 Prozent seiner Leistung liefert, dann können es anderswo eben nur noch 30 Prozent sein“, erläutert Sergei Gepshtein, der sich als Neurowissenschaftler am Salk Institute for Biological Studies mit der Informationsverarbeitung des Nervensystems beschäftigt und derzeit erforscht, wie das Gehirn visuelle Reize verarbeitet.
Multitasking ist ineffizient.
Ein weit verbreiteter Trend der Arbeitswelt der letzten Jahre lässt Mitarbeiter parallel mit mehreren Projekten und Verantwortlichkeiten jonglieren, die alle jeweils die häufige Kooperation mit den unterschiedlichsten Menschen erfordern. Unsere Jobs basieren auf zahlreichen Informationsflüssen und Interaktionen, und unsere Bemühungen, diese alle gleichzeitig zu steuern, haben zu vielfältigen Strategien des Multitaskings geführt – z.B. E-Mails während Besprechungen beantworten, Texte mitten im Gespräch lesen, beim Telefonieren im Internet surfen, oder versuchen, mehrere Aufgaben auf einmal zu erledigen.
Auch wenn wir gern etwas anderes glauben möchten – Wissenschaftler von Institutionen wie etwa dem Brain, Cognition and Action Laboratory der University of Michigan haben nachgewiesen, dass wir unsere Aufmerksamkeit beim Multitasking bei jedem Aufgabenwechsel aufs Neue schnell wiederfinden müssen. Für David Meyer, der an dieser Einrichtung forscht und zu den Multitasking-Experten dieser Welt zählt, gibt es allerdings eine Ausnahme, nämlich dann, wenn Multitasking völlig unterschiedliche Bereiche des Gehirns beansprucht, z.B. beim gleichzeitigen Laufen (manuelle Tätigkeit) und Sprechen (verbale Tätigkeit). An den heutigen Arbeitsplätzen konkurrieren viele Aktivitäten um unsere Aufmerksamkeit und verlangen dabei meist nach denselben „Kanälen“ des Gehirns, das jedoch nur eine Sache auf einmal bewältigen kann. Meyer vergleicht das heutige Verhalten der Menschen in Bezug auf Ablenkungen mit dem Zigarettenrauchen vor einigen Jahrzehnten, als sie noch nicht wussten, wie schädlich es sich auf die Lungen auswirkt. Wie damals sind sich demnach viele Menschen auch heute nicht bewusst, wie sehr sie ihre mentalen Fähigkeiten vermindern, wenn sie versuchen, den ganzen Tag über Multitasking zu betreiben. Im kleinen Maßstab resultieren daraus nur sinnentstellende Schreibfehler in E-Mails, im großen Maßstab kann es zu schweren Unfällen kommen, wenn beim Autofahren Textnachrichten geschrieben werden.
Viele Menschen sind sich heute nicht bewusst, wie sehr sie ihre mentalen Fähigkeiten vermindern, wenn sie versuchen, den ganzen Tag über Multitasking zu betreiben.
Das genaue Gegenteil vom Multitasking ist das, was der Psychologe Dr. Mihaly Csikszentmihalyi als „Flow“ bezeichnet hat: das völlige Aufgehen in einer Sache über einen längeren Zeitraum – ein Zustand, in dem wir nach Meinung vieler Experten am produktivsten sind. Ein solcher Flow ergibt sich selten zufällig, und er lässt sich auch nicht auf unbegrenzte Dauer aufrechterhalten. Anders als beim Stress, der Hormone freisetzt, die in Verbindung mit Übererregung und Angst stehen, bezeichnet Flow einen sehr angenehmen und sehr produktiven Erregungszustand – etwas, wonach sich an den Arbeitsplätzen von heute nicht nur viele Mitarbeiter, sondern auch viele Arbeitgeber sehnen.
Achtsamkeit trainiert das Gehirn.
So faszinierend die Idee des Flows ist – die Herausforderung, einen solchen Zustand tatsächlich zu erreichen ist für die meisten Büromitarbeiter so groß wie nie zuvor. Die Autorin und Beraterin Linda Stone hat vor fast 20 Jahren den Begriff der „permanenten Teilaufmerksamkeit“ ins Spiel gebracht – ein Phänomen, das seitdem immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Die permanente Teilaufmerksamkeit basiert auf dem Wunsch der Menschen, nichts zu verpassen. „Wir wollen effektiv nach neuen Gelegenheiten suchen und bereits bestehende Chancen, Aktivitäten und Kontakte zu jedem Zeitpunkt optimieren“, schreibt Stone. Stehen wir in Alarmbereitschaft, fühlen wir uns ausgefüllt und wichtig. Verbleiben wir jedoch auf Dauer an einem solchen Punkt, dann führt uns die permanente Teilaufmerksamkeit nicht nur in einen Zustand der ständigen Krise, Überlastung und Unerfülltheit, sondern nimmt uns auch noch die Kraft, etwas dagegen zu unternehmen. Wer versucht, sich überallhin zu vernetzen, wird es am Ende nicht schaffen, zu irgendetwas eine echte Verbindung herzustellen.
Eine der bemerkenswertesten Entdeckungen der neurowissenschaftlichen Forschung ist wahrscheinlich die neuronale Plastizität – die Fähigkeit der Menschen, ihr Gehirn in jeder Lebensphase physiologisch durch das Schaffen, Stärken und Konsolidieren neuronaler Netze zu verändern. Anstatt also ständig nur der Ablenkung zu erliegen, weil wir versuchen, zu viele Dinge auf einmal in unseren Köpfen zu behalten, gibt es eine echte Chance, das Gehirn in Richtung positiver Gewohnheiten zu trainieren.
Achtsam zu sein – das heißt, die gesamte Wahrnehmung auf das Hier und Jetzt zu lenken – erscheint in diesem Zusammenhang als besonders zielführend. Zu den eindrucksvollsten Belegen hierfür zählen die Forschungen von Dr. Richard Davidson, der als Direktor des Waisman Laboratory for Brain Imaging and Behavior und des Center for Investigating Healthy Minds an der University of WisconsinMadison Pionierarbeit in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Meditation geleistet hat. Davidson und sein Team untersuchten die Gehirne buddhistischer Mönche, die seit vielen Jahren tagtäglich meditieren – insgesamt jeweils mehr als 30.000 Stunden. Ihre Hirnscans zeigten starke Gamma-Aktivitäten, die auf extreme Konzentration hinweisen. Und tatsächlich waren die Gammawellen bei den Mönchen 30-mal so stark ausgeprägt wie bei der aus Studierenden zusammengesetzten Kontrollgruppe. Anstatt sich in Gedanken zu verlieren oder sich von Umweltreizen ablenken zu lassen, haben diese Mönche gelernt, sich nach Belieben konzentrieren zu können.
DER BUSINESS CASE FÜR ACHTSAMKEIT
Laut einem Artikel in der Online-Ausgabe der Harvard Business Review im Januar 2015 hat ein Team von Forschern der University of British Columbia und der TU Chemnitz vor kurzem Daten aus mehr als 20 Studien zusammengeführt und dabei herausgefunden, dass mindestens acht unterschiedliche Gehirnregionen ständig von Achtsamkeit beeinflusst werden. Besonders interessant für die Wirtschaft sind aus Sicht der drei Autoren die Auswirkungen der sogenannten Achtsamkeitsmeditation auf den anterioren cingulären Cortex, eine Region hinter dem Frontallappen, die für die Selbstkontrolle zuständig ist. Meditierende Versuchspersonen zeigten bei entsprechenden Tests eine verbesserte Leistungsfähigkeit und im Vergleich zu Probanden, die nicht meditierten, außerdem eine erhöhte Aktivität dieser Gehirnregion. Eine andere Gehirnregion, die von der Meditation zu profitieren scheint ist der Hippocampus, der als Teil des limbischen Systems vor allem mit der Gedächtnisorganisation und der Verarbeitung von Emotionen in Zusammenhang gebracht wird.
Die permanente Teilaufmerksamkeit führt uns in einen Zustand der ständigen Krise, Überlastung und Unerfülltheit.
Offensichtlich beginnt das Mantra der Achtsamkeit als solide Geschäftspraxis gerade an Verbreitung zu gewinnen – und zwar nicht nur bei Silicon-Valley-Unternehmen wie Google, das Meditationskurse zum Erlernen emotionaler Intelligenz anbietet. Der Krankenversicherer Aetna ermöglicht seinen Mitarbeitern kostenlose Yogaund Meditationskurse, während die Huffington Post in New York über Rückzugsräume für Powernaps, Gruppen für Atemtechniken und eine Firmenpolitik verfügt, die die Mitarbeiter dazu ermuntert, nach Feierabend keine E-Mails mehr zu versenden. Eingeführt wurde all dies nachdem die Chefredakteurin Adrianna Huf fington zuhause wegen chronischem Schlafmangel kollabierte, was sie schließlich veranlasste, grundlegend neu über die Arbeitsweise der permanenten Verfügbarkeit nachzudenken.
Klar, dass Büromitarbeiter jedes Jahr tausende von Stunden mit Achtsamkeits-Meditation verbringen, ist eher unwahrscheinlich. Dennoch zeigt eine in der Zeitschrift „Psychiatry Research: Neuroimaging“ veröffentlichte Forschungsarbeit, dass selbst 30 Minuten Achtsamkeit in acht Wochen zu physiologischen Veränderungen im Gehirn führen können. Achtsamkeit schafft bzw. stärkt unsere neuronalen Netze, und unterstützt zugleich deren Regenerationsfähigkeit beim Auftreten interner Störungen.
„Durch die Auseinandersetzung mit dem Thema Achtsamkeit, können wir nicht nur leichter erkennen, wann wir mit unseren Gedanken abschweifen, sondern auch unsere Fähigkeit trainieren, die Aufmerksamkeit wiederzuerlangen. Die wertneutrale Beobachtung unserer Gedanken hält das Gehirn fit, fördert besonnene Reaktionen und sorgt für mehr emotionale Stabilität. Je mehr wir dies üben, desto besser wird es uns gelingen“, erklärt Arantes.
KURSKORREKTUR ZUR LEISTUNGSSTEIGERUNG DES GEHIRNS
Vor allem, wenn man sie in ihrer Gesamtheit betrachtet führen die von den Steelcase Forschern intensiv untersuchten Schlüsselerkenntnisse der Neurowissenschaften zu einem eindeutigen Ergebnis: Es ist für keinen Büromitarbeiter möglich, sich acht Stunden oder mehr mit kontrollierter Aufmerksamkeit einzubringen und dabei gleichzeitig hochgesteckte quantitative oder qualitative Ziele zu erreichen. Das Gehirn ermüdet schnell, und der Versuch, die Aufmerksamkeit beim Multitasking aufzuteilen ist kontraproduktiv und stressig. Doch obwohl Achtsamkeit einen bewährten Weg bietet, die Gehirnfunktionen zu stärken, fehlt es an den meisten Arbeitsplätzen an adäquater Unterstützung für regenerative Aktivitäten.
Steelcase Forscher kommen überdies zum Schluss, dass der Weg zu mehr Produktivität und Kreativität keineswegs immer mit dem Versuch verbunden sein muss, konzentrierter oder länger zu arbeiten. Im Mittelpunkt sollte vielmehr ein intelligenterer Umgang mit dem Gehirn stehen, aber auch das Entdecken seiner Grenzen und seiner Potenziale – mit dem Ziel, unsere Aufmerksamkeit besser lenken zu können und uns während des Arbeitstags auf vielfältige Weise zu inspirieren und herauszufordern.
DEN RHYTHMUS DES GEHIRNS RESPEKTIEREN
Wir selbst sind nicht nur Teil des Problems unserer Ablenkung, in uns liegt zugleich auch die Lösung. Und wenn wir unser Verhalten verändern, dann gewinnen wir auch mehr Kontrolle über unser Gehirn – und unser Leben. Je mehr wir darüber wissen, wie unser Gehirn arbeitet, und je besser wir die Hochs und Tiefs unserer Aufmerksamkeit kennen, umso einfacher wird es, zu erkennen, was unser Gehirn wann braucht. Steelcase Forscher und Designer haben drei Funktionsmodi des Gehirns entdeckt, die jeweils ganz bestimmte Verhaltensweisen und Arbeitsplatzkonfigurationen erfordern:
Fokussieren: Wenn wir uns wirklich auf Etwas fokussieren müssen, ist es wichtig, störende Ablenkungen zu vermeiden. Egal, ob diese Ablenkungen von außen kommen oder in uns selbst entstehen – jedes Mal, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken, verbrauchen wir endliche neuronale Ressourcen und unterstützen das limbische System dabei, unsere Konzentration zu stören. Egal, ob wir unsere Telefone für eine Weile ausschalten, unsere Tagsabläufe umkrempeln oder nur länger schlafen – immer mehr Experten liefern in Büchern, Zeitschriftenartikeln, Interviews und im Internet hilfreiche Tipps, wie es mit veränderten Verhaltensweisen gelingen kann, die Produktivität unseres Gehirns zu steigern.
Regenerieren + Inspirieren: Obwohl Selbstkontrolle für die kontrollierte Aufmerksamkeit unerlässlich ist, muss man erkennen, dass das Gehirn durch die Ablenkungen die Möglichkeit erhält, sich die gerade benötigten Auszeiten zu verschaffen und den Gedanken freien Lauf zu lassen. Tagträume werden in der Arbeitswelt im Allgemeinen dennoch eher abgelehnt, weil sie das Gefühl vermitteln, nicht zu arbeiten, obwohl das Gehirn in dieser Zeit sehr wohl aktiv ist. „Neuronen formen immer wieder neue Pfade und verknüpfen diese mit dem, was wir vorher schon wussten. Genau an diesem Punkt beginnen sich Erkenntnisse zu entwickeln“, sagt Flynn. „Das alte Sprichwort, dass man vor lauter krampfhafter Konzentration den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht, oder die Aha-Erlebnisse unter der Dusche oder auf dem Weg zur Arbeit – heute wissen wir, dass sie sich alle auch wissenschaftlich erklären lassen. Die Neurowissenschaft haben uns gezeigt, dass der beste Weg ein Problem zu lösen oft darin besteht, sich von ihm zu entfernen und das Gehirn im Unterbewusstsein allein weiterarbeiten zu lassen.“
Aktivieren: Wenn wir in Erregungszustände geraten, ist es von großer Bedeutung, unseren Körper zu bewegen. Auch wenn wir es in der Schule anders gelernt haben: statisches Sitzen sabotiert unsere Konzentrationsfähigkeit. Zahlreiche Studien belegen, dass Bewegung die Aufmerksamkeit fördert, weil sie Sauerstoff und frisches Blut ins Gehirn bringt und für die Ausschüttung stimulierender Hormone sorgt. Während die körperlichen und seelischen Vorteile von Bewegung hinreichend bekannt sind, hat die Neurowissenschaft nun gezeigt, dass sie sich auch auf den kognitiven Bereich positiv auswirkt. John Ratey von der Harvard Medical School beschäftigt sich in seinem Buch „Spark: The Revolutionary New Science of Exercise and the Brain“ ausführlich mit der Erforschung der Verknüpfung von Gehirn und Bewegung. Bewegen wir unseren Körper, fördert dies die Produktion des Proteins BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor), das er als „Dünger“ für das Gehirn bezeichnet, weil es die Bildung neuer Neuronen fördert.
Bestätigt werden die Vorteile der Bewegung auch in einer kürzlich in der Zeitschrift „Computers in Human Behavior“ veröffentlichten Studie. Demnach waren Studierende, die einen Text an einem Schreibtisch mit Laufband lasen 34,9 Prozent häufiger in der Lage, hierzu gestellte Fragen richtig zu beantworten als eine sitzende Vergleichsgruppe. Hinzu kommt, dass sich diese Studierenden insgesamt besser auf die Aufgabe konzentrieren konnten, und dass die Auswertung ihrer EEGs mehr Aufmerksamkeit und bessere Gedächtnisfunktionen erkennen ließen.
Fokussieren
Um sich voll und ganz auf etwas konzentrieren zu können, müssen äußere und innere Ablenkungen vermieden werden. Diese Bibliothekszone ist so konzipiert, dass sie als Rückzugsbereich vor Lärm und anderen Störungen schützt, die für Open Spaces typisch sind. Die Nutzung von Telefonen ist nicht erlaubt, während Gespräche eingeschränkt möglich sind. Dank der vielfältigen akustischen, visuellen und psychologischen Grenzen unterstützt diese Arbeitsplatzkonfiguration eine große Bandbreite an Nutzerbedürfnissen für fokussiertes Arbeiten
Nimmt man in dieser Konfiguration mit Lagunitas Platz, kann man den Blick nach draußen schweifen lassen und ist dabei von Ablenkungen geschützt. Dieser kokonähnliche Arbeitsplatz reduziert visuelle Ablenkungen und bietet so das Gefühl von Kontrolle und Sicherheit.
Verschiedene Möglichkeiten der Abschirmung – von völlig geschlossenen Räumen bis hin zu offenen Micro-Lounges – geben den Menschen die Möglichkeit, das Maß der Außenreize (z.B. Geräusche, Sichtlinien, Beleuchtung, Temperatur) individuell zu steuern.
Regenerieren und Inspirieren
Leicht erreichbare Kollegen, Snacks und Plätze zum Ausruhen helfen kognitiv überlasteten Mitarbeitern, sich zu regenerieren und den Kopf wieder frei zu bekommen.
Dieser an einer internen Schnittstelle platzierte, soziale Treffpunkt ermöglicht viele regenerierende Aktivitäten: hier können Kollegen gemeinsam Kaffee trinken, entspannte Gespräche führen, ein paar Minuten in sich gehen oder einfach mal tief durchatmen, um Körper und Geist zu erfrischen.
Eine in Holz gerahmte Feuerstelle sorgt für kontemplative Ruhe, dient aber auch als Treffpunkt für stille Gespräche.
Eine informelle Lounge ermuntert zu entspannten Sitzpositionen, aber auch zu einem angeregten Austausch, der zu neuen Denkweisen führen kann.
Eine Kaffeebar fördert zufällige Begegnungen und Gespräche, während die auf einer Medienwand präsentierten Informationen zu Unternehmen und Weltgeschehen den Geist beleben.
Aktivieren
Körperliche Aktivitäten sind ein bewährtes Mittel zur Anregung des Gehirns. Stellen Sie leicht zugängliche Arbeitsplatzkonfigurationen zur Verfügung, die die Mitarbeiter ermuntern, sich während des ganzen Arbeitstages zu bewegen, um dadurch Körper und Geist zu aktivieren.
Diese Arbeitsumgebung bietet die Möglichkeit sich zu bewegen und die Körperhaltung zu ändern.
Vorstellung neue Forschungen zum Mitabeiterengagement und Arbeitsplätze in aller Welt
Mehr als ein Drittel der Beschäftigten weltweit sind nicht engagiert. Im Rahmen dieser außergewöhnlichen Untersuchung hat Steelcase mit dem internationalen Forschungsinstitut Ipsos zusammengearbeitet, um die wichtigsten Einflussfaktoren auf das Engagement der Mitarbeiter und die Zufriedenheit am Arbeitsplatz definieren und bewerten zu können.