Sechs Herausforderungen bei der hybriden Arbeit, die das Personalmanagement jetzt erwarten
Neue Studien zeigen, welche Aspekte der hybriden Arbeit bewusst angegangen werden müssen, damit sie sich nicht negativ aufs Unternehmen auswirken.
‚Die große Resignation‘ sorgt in Unternehmen weltweit für Unbehagen. Trotz anhaltender Bemühungen seitens der Unternehmen, ihre talentiertesten Mitarbeiter zu halten, suchen die Angestellten dennoch nach neuen Perspektiven. Die Talentabwanderung sorgt dafür, dass Unternehmen einerseits neue Angestellte gewinnen und schulen müssen, während sie gleichzeitig versuchen, die Mitarbeiter*innen zu halten, die über besonders wichtige Fähigkeiten verfügen. Die Zahlen sind alarmierend — laut Erhebungen von Microsoft erwägen 41 % der Mitarbeiter*innen weltweit, im kommenden Jahr den Arbeitgeber zu wechseln.
Als Reaktion darauf beschäftigen sich viele Unternehmen mit hybriden Arbeitsstrategien. Sie möchten damit auf den Wunsch der Angestellten eingehen, mehr Flexibilität in Bezug darauf zu erhalten, wo, wann und wie sie arbeiten können. Gleichzeitig sollen Kundenbedürfnisse erfüllt, innovative Lösungen geschaffen und die Unternehmenskultur bewahrt werden. Laut einer Steelcase-Studie aus dem Herbst 2021 wünschen sich 78 Prozent der Angestellten flexible Arbeitsmöglichkeiten, inklusive Distanzarbeit.
Die Forscher*innen von Steelcase WorkSpace Futures haben sechs wichtige Bereiche identifiziert, die Unternehmen bei der Implementierung hybrider Arbeitsmodelle beachten sollten. Ihre Erkenntnisse beruhen u. a. auf den Ergebnissen von im Herbst durchgeführten, ausführlichen Interviews mit US-amerikanischen Führungskräften im Bereich Personalwesen, die sich mit der Etablierung hybrider Arbeitsplatzrichtlinien und Arbeitsmodelle befassen. Sie beruhen zudem auf Metaanalysen von Publikationen zu effektiven hybriden Arbeitsstrukturen.
STRUKTURIERTE FLEXIBILITÄT
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich hybriden Arbeitsformen zu nähern, was die Wahl des richtigen hybriden Arbeitsmodells zusätzlich erschwert. Was für ein Unternehmen funktioniert, ist noch lange nicht das Richtige für andere Unternehmen und hängt von vielen verschiedenen geschäftlichen Faktoren ab. Es gibt nicht die eine perfekte hybride Lösung, die sich auf alle anderen Unternehmen übertragen lässt. Aber die Steelcase-Forscher*innen haben einige Übereinstimmungen erkannt.
Die meisten Unternehmen wählen ein Modell, bei dem die Angestellten zwei bzw. drei Tage im Büro arbeiten und die restlichen Tage Distanzarbeit stattfindet. Die Anzahl an Home-Office-Tagen wird für gewöhnlich von den Unternehmen festgelegt. An welchen Tagen die Mitarbeiter*innen ins Büro kommen, entscheiden hingegen meist die einzelnen Abteilungen oder lokalen Vorgesetzten, die besser beurteilen können, wie ihre Teams arbeiten und wann sich die Teams vor Ort treffen sollten. In einer Sache stimmen die Personalexpert*innen allerdings überein: absolute Flexibilität ist nicht wünschenswert. Den Angestellten hilft ein gewisses Maß an Struktur — beispielsweise, wenn sie wissen, wann Kolleg*innen im Büro sein werden, damit sie sich mit ihnen kurzschließen und gemeinsam arbeiten können.
Das 3-2- oder 2-3-Modell bietet mehr Flexibilität als eine reine In-Office- oder Home-Office-Regelung. Es ermöglicht Unternehmen, neue Arbeitsweisen zu testen und gefährdet dabei nicht die Unternehmenskontinuität, Talentstrategie, Kostenplanung und Unternehmenskultur.
„Die Herausforderungen sind sehr komplex und erfordern von Führungskräften, viele verschiedene Aspekte sowie die Interessen vieler verschiedener Beteiligter abzuwägen – und das in einem unbeständigen, unsicheren und komplexen Kontext.”
Mark Mortensen
Unternehmen versuchen momentan, mithilfe von Experimenten und Datenanalyse die neuen Verhaltensweisen zu verstehen, die die Angestellten in der letzten Zeit angenommen haben.
SECHS HERAUSFORDERUNGEN BEI HYBRIDEN ARBEITSFORMEN
Unsere Studien in Bezug auf neue hybride Arbeitsstrukturen zeigen, dass es sechs herausfordernde Aspekte gibt, mit denen es höchstwahrscheinlich gilt, sich auseinanderzusetzen. Um hybrides Arbeiten erfolgreich zu etablieren, müssen Unternehmen und Personalverantwortliche diese neuen, wichtigen Herausforderungen auf proaktive und transparente Weise angehen.
#1 Hybride Arbeit kann sich negativ auf die Karriere auswirken. Das Ungleichgewicht der Präsenz sollte behoben werden.
In der Vergangenheit hing der Karriereaufstieg meist damit zusammen, wie viel Zeit man im Unternehmen verbracht hat, denn dort wurde man von den Führungskräften wahrgenommen und konnte seine internen Netzwerke ausbauen. Personalmanager*innen erkennen, dass gängige Talent- und DEI-Initiativen bei der hybriden Arbeit nicht greifen (DEI – Diversity, Equity & Inclusion – Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion). Hybride Arbeitsmodelle bringen zwar einerseits neue Talente ins Unternehmen, gleichzeitig können sie es neuen Mitarbeiter*innen oder Berufseinsteiger*innen erschweren, ihre Karriere voranzubringen. Dazu kommt, dass gerade Frauen und People of Color sich häufiger für flexiblere Arbeitsmodelle entscheiden, was dazu führt, dass sie seltener im Büro sind und von Führungskräften weniger wahrgenommen werden (Future Forum Pulse).
Fazit: Führungskräfte im Personalwesen, die sich mit Talenteentwicklung, Mitarbeiterengagement und DEI-Zielen befassen, entwickeln neue Schulungen für hybride Mitarbeiterführung, um Vorurteile zu adressieren, bevor sich diese manifestieren können.
#2 Gleichbehandlung ist nicht hundertprozentig erreichbar. Versuchen Sie, stattdessen Gleichstellung zu erzielen.
Es ist offensichtlich, dass sich bestimmte Tätigkeiten besser für Distanzarbeit eignen als andere. Räumt man nur bestimmten Angestellten das Recht ein, remote zu arbeiten, können sich die anderen benachteiligt fühlen. Wenn man die Entscheidung für oder gegen Distanzarbeit zudem den einzelnen Abteilungen überlässt, entsteht im gesamten Unternehmen ein inhomogenes Bild. Führende Unternehmen sind sich dessen bewusst, dass keine hundertprozentige Gleichbehandlung möglich ist. Ihr Ziel ist es, Mitarbeiter*innen zumindest gleichzustellen – in Form verschiedener Gehaltsstrukturen, Ressourcen oder Benefits – und so ein ausgewogeneres Verhältnis zu schaffen.
Fazit: Den Angestellten ist klar, dass eine absolute Gleichbehandlung nicht immer möglich ist, sie schätzen aber Unternehmen, die sich dafür einsetzen, diese bestmöglich herzustellen.
#3 Wissens-Silos vermeiden und den Fokus auf Flow setzen.
„Ohne eine bewusste Einflussnahme (zur Verbesserung des Informationsflusses) kann (durch die Entstehung von Wissens-Silos) die Möglichkeit zum Informationsaustausch innerhalb verschiedener Gruppen stark eingeschränkt sein und dazu führen, dass Innovation und Produktivität leiden”, erklären Forscher*innen von Microsoft in der Fachzeitschrift Nature of Human Behavior.
Obwohl viele technische Möglichkeiten zur virtuellen Zusammenarbeit gegeben sind, hat das Personalmanagement erkannt, dass persönliche Interaktionen nach wie vor am besten zur Wissensweitergabe geeignet sind und dazu beitragen, dass die Menschen schneller lernen und sich bei der Umsetzung der Lerninhalte sicherer fühlen. Die Möglichkeit, Wissen zu teilen und zu erwerben trägt zur effektiven Zusammenarbeit bei, sorgt dafür, dass Inhalte nicht mehrfach wiederholt werden müssen und verbessert somit die Ressourcen-Effizienz. Fällt diese Möglichkeit weg, riskieren Unternehmen, die Vielfalt unterschiedlicher Blickwinkel und Anschauungen zu verlieren, die für innovative Ergebnisse und zur Lösung komplexer Probleme benötigt wird. Die Fähigkeit, genau zu planen, wie Wissen sichtbar gemacht wird, trägt maßgeblich zum Unternehmenserfolg bei. Hybride Arbeitsformen erschweren dies zusätzlich und erfordern von Führungskräften einen größeren Fokus auf die Ausbildung von kollektivem Wissen.
Fazit: Unternehmen, die bereits den digitalen Wandel vollzogen haben und über Prozesse und Technologien verfügen, die den Zugang zu Informationen erleichtern, haben bessere Chancen, Wissens-Silos zu vermeiden. Für Unternehmen, die den Übergang zu hybriden Arbeitsformen noch vor sich haben, ist es wichtig, möglichst bald entsprechende Anpassungen zu planen und in kollektives Lernen und ein erweitertes Netzwerk zu investieren.
#4 Arbeitsabläufe werden weniger vorhersehbar. Vertrauen und Zugehörigkeit müssen kultiviert werden.
Bei hybriden Arbeitsmodellen variieren die Tage und Zeiten, an denen die Mitarbeiter*innen im Büro sind. Die Wahrscheinlichkeit, einander zufällig im Büro anzutreffen, sinkt, insbesondere, was Begegnungen von Kolleg*innen außerhalb des eigenen Teams angeht. Und inzwischen entscheiden sich die Angestellten ganz bewusst dafür, ob sie ins Büro kommen oder nicht und haben andere Erwartungen in Bezug auf die Räume und Tools, die ihnen zur Verfügung stehen sollten. Führende Organisationen reagieren, indem sie ihre Arbeitsumgebungen anpassen, um hybride Arbeitsformen zu fördern und den richtigen Rahmen zu bieten, der eine Kultur des Vertrauens fördert und ein Zugehörigkeitsgefühl schafft – zwei Aspekte, die abhandenkommen, wenn die Menschen weniger Zeit miteinander verbringen.
Fazit: Je unberechenbarer der Arbeitsalltag wird, umso anpassbarer müssen die Räume und Tools sein, damit flexibel auf die jeweiligen Anforderungen reagiert werden kann. Es ist entscheidend, Feedback zu erhalten, um die Umgebung und Arbeitsatmosphäre entsprechend anzupassen.
#5 Distanz schwächt das Gemeinschaftsgefühl. Soziales Kapital muss aufgebaut werden.
Hybride Arbeitsmodelle führen dazu, dass man weniger Zeit miteinander verbringt und weniger soziales Kapital aufbaut. „Zwar erlauben die technischen Möglichkeiten, dass man sich heutzutage jederzeit mit anderen in Verbindung setzen kann. Unsere Pulsumfragen zeigen aber, dass die sozialen Bindungen sich bei rein virtuellen Begegnungen extrem verschlechtern, weil wir es einfach nicht gewohnt sind, auf diese Art und Weise miteinander in Kontakt zu bleiben“, erklärt ein Steelcase-Mitarbeiter.
Wir arbeiten im Grunde auch für andere Menschen und werden von anderen Menschen motiviert. Engagement und Loyalität dem Unternehmen gegenüber entsteht, wenn wir anderen Angestellten gegenüber ein Verbundenheitsgefühl empfinden. Ein geselliger Austausch bei einer Tasse Kaffee oder ein berufliches Gespräch beim Mittagessen — solche Ereignisse schaffen Vertrauen, das wiederum der Schlüssel für mehr Engagement, für Mitarbeiter*innenbindung und Innovation ist.
Fazit: Personalmanager*innen haben Bedenken, dass es schwieriger wird, soziales Kapital aufzubauen und neue Angestellte ins Unternehmen zu integrieren, wenn viele Mitarbeiter*innen auf Distanz arbeiten. Führungskräfte sind sich dessen bewusst, dass geschwächte soziale Bindungen wieder gestärkt werden müssen und nutzen die Arbeitsumgebung, um die Kultur zu festigen.
#6 Ganzheitlich denken. Die Angestellten umfassend unterstützen.
Die Erwartungen der Angestellten sind inzwischen gestiegen. Sie erwarten, dass ihr Unternehmen sich auch um ihr Wohlbefinden kümmert. Egal, ob Unternehmen formale hybride Arbeitsformen wählen oder einfach mehr Distanzarbeit bzw. flexiblere Arbeitszeiten ermöglichen – Flexibilität gilt inzwischen als Mindestanforderung, um Talenten etwas zu bieten und sie im Unternehmen zu halten. Denn die Mitarbeiter*innen sind nicht mehr dazu bereit, das neu gewonnene Gefühl der Autonomie und die bessere Work-Life-Balance aufzugeben. Sie erwarten außerdem mehr als das gewohnte Benefit Package von ihrem Unternehmen. Ein neuer Sozialvertrag ist am Entstehen: Er beinhaltet, dass Unternehmen Körper, Geist und Seele ihrer Angestellten als Einheit betrachten und alle Aspekte des Wohlbefindens unterstützen.
Fazit: : Personalmanager*innen verstehen, dass Unternehmen sich aktiv und mit konkreten Maßnahmen für das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter*innen einsetzen sollen. Unternehmen denken über neue Benefits nach, wie z.B. ein Sabbatical, Mindfulness-Trainings, Kinderbetreuung und Erholungsmöglichkeiten im Büro.
Unternehmen, die hybride Arbeitsweisen einführen möchten, werden sich mit einer oder mehreren der genannten Herausforderungen auseinandersetzen müssen. Wenn sie es schaffen, einzuschätzen, was auf sie zukommt und sich darauf vorzubereiten, bevor die Themen tatsächlich aktuell werden, werden sie in der Lage sein, Talente zu gewinnen und auch zu halten, die Geschäftskontinuität aufrechtzuerhalten und schnell zu agieren, um für die Angestellten und fürs Unternehmen die besten Ergebnisse zu erzielen.