Wohlbefinden als zentraler Punkt im Bildungsbereich
Es ist Zeit, dass die Bedürfnisse in Lernbereichen berücksichtigt werden.
Als die Steelcase Forschungsteams 2019 begannen, sich mit dem Thema Wohlbefinden im Bildungsbereich auseinanderzusetzen, konnten sie nicht vorhersehen, dass sich im Laufe ihrer Recherchen vor ihren Augen eine umfassende Krise abspielen würde.
„Wohlbefinden im Bildungsbereich war bereits ein Thema, als wir unsere Arbeit begannen. Die Pandemie hat dazu geführt, dass sich in diesem Bereich eine ausgewachsene Krise entwickeln konnte“, erklärt Aileen Strickland, Senior Design Researcher und Leiterin der globalen Studie.
Lernende und Lehrende haben heute mehr Stress, leiden unter mehr Angstsymptomen und fühlen sich häufiger überfordert als die Generationen vor ihnen. Einige dieser Probleme waren bereits vor der Covid-Pandemie erkennbar. Aber die durch die Pandemie entstandene soziale Isolation zusammen mit der Notwendigkeit, in kürzester Zeit neue Lern- und Lehrmethoden zu etablieren, hat diese Probleme noch weiter verstärkt. Zahlreiche Studien belegen ein Stressniveau bisher unbekannten Ausmaßes sowie eine messbare Verschlechterung der Lernergebnisse.
Die Dringlichkeit, das Wohlbefinden im Bildungswesen zu steigern, hat somit zugenommen und Strickland weist hierbei auf eine weitere Erkenntnis hin, die sie und ihr Team erhalten haben: Das Wohlbefinden der Lernenden und Unterrichtenden ist nicht nur deren persönliche Angelegenheit. Es ist systemisch verankert und stark mit der Kultur der Bildungseinrichtung und mit dem familiären und gesamtgesellschaftlichen Hintergrund verwoben. Um die momentane Krise in Bezug auf das Wohlbefinden im Bildungswesen zu lösen, müssen diese drei Faktoren adressiert werden. „Die Dimensionen, die Einfluss auf unser Wohlbefinden haben, sind intrinsisch verwoben mit unseren Beziehungen zu anderen Menschen und mit den Gemeinschaften und Umgebungen, in denen wir uns bewegen“, erklärt sie. „Die ganze Gesellschaft sollte eigentlich das Fundament dafür bieten, dass jeder Einzelne sich wohlfühlen und sein Potenzial entfalten kann.“
Jetzt bietet sich die Chance: Bildungseinrichtungen menschlicher gestalten
Strickland bezeichnet den Gegensatz von Wohlbefinden mit dem Begriff ‚Un-Wohlbefinden‘, der den an vielen Bildungsinstituten vorherrschenden Zustand beschreibt. Dieser unangenehme Zustand hat reale negative Auswirkungen auf den Erfolg einer Bildungseinrichtung. Mangelndes Wohlbefinden unter den Studierenden steht in Zusammenhang mit geringen Leistungen und höheren Abbruch, die sich wiederum direkt auf die Fördermittel der Bildungseinrichtung auswirken. Gleichzeitig führen Burnouts bei den Lehrenden zu mehr Fehltagen, steigenden Gesundheitskosten und einer hohen Fluktuationsrate. Zusammengefasst: das Wohlbefinden hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Leistungen der Lernenden und Unterrichtenden.
Gerade jetzt sind wir vielen Stressfaktoren und Herausforderungen ausgesetzt. Die von Steelcase durchgeführten Untersuchungen zeigen, dass es an der Zeit ist, Lern- und Lehrerfahrungen genau zu prüfen und dem Wohlbefinden eine wichtigere Rolle im Lehrbetrieb zuzuschreiben. Dafür ist ein Paradigmenwechsel nötig. Es müssen neue Pädagogikansätze getestet werden und neue Ziele, Fähigkeiten und Organisationsstrukturen geschaffen werden. So kann man den sich wandelnden Einflüssen, Werten und Erwartungen gerecht werden, die es wichtiger machen denn je, den Bildungsbetrieb mehr auf den Menschen und seine Bedürfnisse auszurichten.
Einfluss und Wert des physischen Raum im Bildungsbereich werden momentan aktiv überprüft. Wie können Lernumgebungen besser genutzt werden, um das Wohlbefinden zu fördern?
„Das Potenzial für Innovation und Wachstum ist enorm“, sagt Strickland. „Jetzt kann der richtige Zeitpunkt sein, um dem Wohlbefinden mehr Bedeutung zu verleihen, als je zuvor und der Großteil der Bildungseinrichtungen befasst sich deshalb damit, wie Lernen und Unterrichten in Zukunft aussehen soll. Dieser Prozess kann sehr komplex wirken, schließlich geht es darum herauszufinden, wie wir zu einer stimmigen und nachhaltigen Entwicklung von gesunden Menschen beitragen können. Aber diese Veränderungen sind unbedingt notwendig. Und möglich. Jeder Einzelne kann selbst etwas dafür tun, denn auch kleine Schritte machen einen erkennbaren Unterschied.“
Sechs Dimensionen von Wohlbefinden
Beim Stichwort Wohlbefinden denken die meisten zuerst an emotionale Aspekte, z.B. daran, ob man sich gut fühlt oder gestresst und besorgt ist. Untersuchungen von Steelcase zeigen aber, dass fürs Wohlbefinden physische, kognitive und emotionale Facetten zusammenspielen, die jede für sich wichtig sind und dennoch alle miteinander zusammenhängen.
„Diese erweiterte Definition hilft uns, die Mechanismen zu verstehen, die das Wohlbefinden beeinflussen und zeigt deren zugrundeliegende Dynamik“, erläutert Strickland. „In ausführlichen, von Steelcase durchgeführten Studien konnten sechs Dimensionen von Wohlbefinden identifiziert werden, die für alle Menschen wichtig sind: Bedeutsamkeit, Zugehörigkeit, Authentizität, Achtsamkeit, Optimismus und Vitalität. Die bewusste Anwendung dieser sechs Aspekte im Bildungsbereich hat gezeigt, dass diese Dimensionen für Lernende und Lehrende die Basis und gleichzeitig die Formel für mehr Wohlbefinden sind.
Die sechs Dimensionen zeigen auch, wie wichtig es ist, das Wohlbefinden im Bildungswesen ganzheitlich zu betrachten. Allgemein kann das Wohlbefinden über zwei Arten von Bereichen beeinflusst werden: zweckbestimmte und eingebettete Bereiche. Zweckbestimmte Bereiche sind Räume oder ganze Stockwerke, die bewusst gestaltet wurden, um das Wohlbefinden zu steigern – wie zum Beispiel Fitness Center, Achtsamkeitsbereiche oder Beratungsräume. Eingebettete Bereiche, die das Wohlbefinden steigern, können in jeder bestehenden Umgebung im gesamten Gebäude integriert werden. Ein eingebetteter Bereich unterstützt das Wohlbefinden und erfüllt gleichzeitig seine ursprüngliche Funktion. Beispiele hierfür sind Unterrichtsräume, Gemeinschaftsbereiche zum Lernen, Bibliotheken, Cafés, Studenten-Verbände oder Mitarbeiterbereiche. Sie lassen sich zum Beispiel integrieren, indem kleinere Zonen innerhalb eines Bereichs bewusst abgeschirmt werden. So kann der Bereich einerseits seiner Hauptfunktion dienen und dennoch das Wohlbefinden von Unterrichtenden und Lernenden positiv beeinflussen.
Design für einen Neubeginn
So können die sechs Dimensionen die Umgebungen in Bildungseinrichtungen positiv beeinflussen und das Wohlbefinden steigern:
1) Bedeutsamkeit – Einen tieferen Sinn erkennen – beginnt in einem Selbst und erstreckt sich auf das große Ganze.
Warum dies so wichtig ist: Ein tieferer Sinn führt dazu, dass man mehr Dankbarkeit empfindet, selbstbewusster und optimistischer ist und gesunde Verhaltensweisen an den Tag legt.
Wie die Lernumgebung dazu beitragen kann:
- Gestaltungsmöglichkeiten für den Einzelnen und Gruppen schaffen
Zum Beispiel: Den Lernenden ermöglichen, die Elemente ihrer Umgebung frei zu konfigurieren
- Inspiration bieten
Zum Beispiel: Biophile Verbindungen zur Natur in die Umgebung integrieren; virtuelle Verbindungen von Mensch und Raum weltweit ermöglichen
2) Zugehörigkeit – Teil einer Gruppe sein, akzeptiert und wertgeschätzt werden, so wie man ist.
Warum dies so wichtig ist: Das Zugehörigkeitsgefühl führt zu mehr Freude, Interesse, Selbstbewusstsein, Enthusiasmus und besserer Gesundheit.
Wie die Lernumgebung dazu beitragen kann:
- Räume gestalten, die den Studierenden ermöglichen, wirklich gesehen und gehört zu werden
Zum Beispiel: Diskussionsräume in formellen sowie informellen Lernbereichen etablieren; Die Anzahl an Flächen zur Darstellung von Ideen und Arbeitsresultaten erhöhen; Möglichkeiten zur Darstellung der studentischen Identität bieten
- Ein Miteinander und Gemeinschaftsgefühl schaffen
Zum Beispiel: Schulmaskottchen, -logos und -farben verwenden; eine Auswahl an Umgebungen bieten, die zu spontanen Unterhaltungen anregen
- Einladende und inklusive Umgebungen gestalten
Zum Beispiel: Die Natur in den Raum bringen mit biophilem Design, das Pflanzen, natürliches Licht und einen Ausblick ins Freie integriert; Die Beziehung zu bestimmten Orten, z.B. über die regionale Umwelt oder Historie, sichtbar herausstellen und würdigen; Inklusiv gestalten und zugängliche Umgebungen schaffen, die Diversität und Einzigartigkeit würdigen
3) Authentizität – Sein wahres Wesen erschaffen, entdecken, verstehen und ihm Ausdruck verleihen.
Warum dies so wichtig ist: Ein gesundes Selbstwertgefühl bewirkt, dass man sich mehr darum bemüht, gute Ergebnisse zu erzielen und letztlich mehr Erfolg beim Lernen, aber auch im Privatleben hat. Negative Grundtendenzen können hingegen die Motivation untergraben und Lernerfolge verhindern.
Wie die Lernumgebung dazu beitragen kann:
- Auswahl bieten und Selbstbestimmtheit fördern
Zum Beispiel: Flexible, bewegliche Möbel anbieten; Eine Vielzahl an Settings schaffen für verschiedene Unterrichts- und Lernstile
- Diversität und Selbstentfaltung anregen
Zum Beispiel: Einfachen Zugang zu einer Auswahl an Tools und Mitteln zur Selbstentfaltung bieten, wie z.B. mobile Whiteboards und Maker Spaces für praktische Tätigkeiten
- Ein Gefühl der Sinnhaftigkeit fördern
Zum Beispiel: Möglichkeiten finden, Lernende und Lehrende zu würdigen
4) Achtsamkeit – Bewusstes Wahrnehmen der Gegenwart und Offenheit gegenüber uns selbst und der Welt, die uns umgibt.
Warum dies so wichtig ist: Achtsamkeit ist ein Wundermittel fürs Lernen und kann die Aufmerksamkeit, das Selbstbewusstsein und das Mitgefühl für einen selbst und andere sowie die Metakognition und komplexe kognitive Abläufe verbessern. Gleichzeitig werden Störfaktoren wie Stress, Angst, depressive Stimmungen, körperlicher Stress und die emotionale Reaktivität gemindert.
Wie die Lernumgebung dazu beitragen kann:
- Eine Vielfalt an Sinneswahrnehmungen erschaffen
Zum Beispiel: Biophile Merkmale wie Naturmaterialien und -motive in die Umgebung integrieren; Auswahl und Kontrolle darüber bieten, wie und wo man sitzen möchte
- Zuflucht und Erneuerung ermöglichen
Zum Beispiel: Räume bieten, die die Lernenden und Lehrenden aufsuchen können, um sich zu entspannen und neu zu fokussieren.
- Diversität ausdrücken können
Zum Beispiel: Behagliche Bereiche für Unterhaltungen gestalten, in denen Unterrichtende und Lernende offen und in geschütztem Rahmen miteinander interagieren können; Eine Vielzahl an verschiedenen Perspektiven zu Sachverhalten und Ideen aufzeigen
5) Optimismus – Kultivieren einer positiven Denkweise, die auf Ausdauer, Hoffnung und Wachstum beruht.
Warum dies so wichtig ist: So werden Zuversicht und Durchhaltevermögen gestärkt, was zu besseren akademischen Leistungen und positiven Entwicklungen im Privaten führt.
Wie die Lernumgebung dazu beitragen kann:
- Auffordern, Herausforderungen anzugehen und Einsatz zu zeigen
Zum Beispiel: Bereiche bieten, die unterschiedliche Lernmöglichkeiten für verschiedene Lerntypen bieten (z.B. Introvertierte und Extrovertierte, Menschen, die lange über Sachverhalte nachdenken oder umgekehrt sehr schnelle Schlussfolgerungen treffen etc.)
- Lernprozesse sichtbar machen und würdigen
Zum Beispiel: Prozesse und Fortschritte auf Whiteboards sowie digitalen oder sonstigen Displays sichtbar machen; Transparenz in Lernumgebungen schaffen
6) Vitalität – Gesund und aktiv sein – körperlich, geistig und seelisch.
Warum dies so wichtig ist: Gesunder Schlaf, gesunde Ernährung und gute Stress-Management-Gewohnheiten fördern das optimale Funktionieren des Gehirns, eine gute Konzentration und bessere Leistungen und führen gleichzeitig zu besseren Gewohnheiten und weniger Stress.
Wie die Lernumgebung dazu beitragen kann:
- Sichere Umgebungen gestalten, die gesunde Verhaltensweisen fördern
Zum Beispiel: Notwendige Abstandsregeln festlegen, sicherstellen, dass Reinigung und ein guter Luftaustausch möglich sind; Reichhaltige, ansprechende Mahlzeiten und Möglichkeiten zur Bewegung bieten; Außenflächen nutzen
- Zu mehr Bewegung anregen
Zum Beispiel: Bewegung fördern mithilfe von Schaukelstühlen und Settings, die im Sitzen und im Stehen genutzt werden können; Verschiedene Bereiche für unterschiedliche Aktivitäten anbieten
- Erholungsmöglichkeiten schaffen
Zum Beispiel: Räume, die den Lernenden und Lehrenden die Möglichkeit bieten, sich bei Bedarf auszuruhen