Interview mit Prof. Dr. Peschl
Werden Sie kreativ und unordentlich und vergessen Sie das Wort Scheitern
Steelcase Learning: Sie bereiten Studierende auf eine Wissensgesellschaft vor, indem Sie sie lehren Wissen zu generieren, zu diskutieren und fruchtbar zu machen. Welche Rolle spielen der Wechsel zwischen individueller Einzel- und Teamarbeit bei diesen Lernprozessen?
Markus Peschl: In der Innovationsarbeit bzw. Wissensgenerierung sind beide Dimensionen notwendig und müssen gut aufeinander abgestimmt sein: individuelles Arbeiten ist vor allem dann zentral, wenn es um genaues Beobachten, um Recherche, um tiefes Nachdenken und Reflektieren, um Hinterfragen von bestehendem Wissen geht. Ganz besonders, wenn es um das Hinhören auf das, was entstehen will, geht. Kollektives Arbeiten auf der anderen Seite ist vor allem dann wichtig, wenn es um das Finden einer gemeinsamen Vision geht, um den Aufbau eines gemeinsamen Verständnisses, Prototyping, das Aufdecken von verborgenen Annahmen etc. In Prozessen der Innovation und Wissensgenerierung muss berücksichtigt werden, dass man es mit unterschiedlichen Formen und Dynamiken von Wissen zu tun hat und man dementsprechend den Wechsel von individueller und kollektiver Arbeit aufeinander abstimmen muss.
SE: In Ihrem TedX Talk stellen Sie Ihr Konzept der „emergenten Innovation“ und die drei Prinzipien hierfür vor. Wenn Sie Lernräume schaffen müssten, die diese Innovationsprozesse optimal unterstützen, wie würden diese aussehen?
MP: Jeder dieser Prozesse, also tiefes Beobachten, tiefes Verstehen des Kerns bzw. der Essenz des Beobachtens und Hinhören auf das, was entstehen will, benötigt seine jeweilige Umgebung, die wir als Enabling Spaces bezeichnen. Das sind Räume, die diese jeweiligen Prozesse bestmöglich unterstützen. Für das Beobachten eignen sich soziale Umgebungen (z.B. Cafés, Orte, an denen Nutzer das Produkt/Service nutzen etc.). Das tiefe Verstehen bedarf eines Ortes der Konzentration und des fokussierten Denkens und Arbeitens. Eine Umgebung, die es ermöglicht, möglichst ungestört tief in ein Thema einzutauchen („immersing“), um es „von innen heraus“ zu verstehen. Im Prozess des „Learning from the future, as it emerges“ geht es darum, mit der Zukunft in Resonanz zu treten. Dies wird besonders gut in natürlichen Umgebungen (z.B. Natur, Wald etc.) oder an Orten der Stille (z.B. meditative Umgebungen, spirituelle Räume etc.) unterstützt.
“Das tiefe Verstehen bedarf eines Ortes der Konzentration und des fokussierten Denkens und Arbeitens.”
SE: Künstliche Intelligenz in Bezug auf Innovationsprozesse: Bedrohung oder Chance?
MP: Jedenfalls Chance! Im Idealfall wird uns AI all die repetitive Routinearbeit abnehmen und mehr Raum geben für das Kreative und die Hervorbringung des Neuen. Ob uns das Kreative und wirklich Innovative von AI-Technologien eines Tages abgenommen wird, bezweifle ich (zumindest nicht in den nächsten 20 Jahren), da es, wenn es sich um profunde, nachhaltige und Sinn stiftende Innovationen handelt, im Grunde immer um ein tiefes Verstehen (sense-making) und ein Ausloten von Potentialen geht, was eine zutiefst intellektuelle Herausforderung im Bereich der Semantik ist und stark an unsere kognitiven und intuitiven Fähigkeiten und unsere direkte Interaktion mit der Welt gebunden ist. AI kann uns auch in diesen Prozessen unterstützen, indem es uns eine Augmented Reality zur Verfügung stellen kann.
SE: Sie forschen zu innovativeren Lernmöglichkeiten. Welche Innovationen können wir in diesem Bereich erwarten?
MP: Ich denke, es wird in der Zukunft immer mehr um so genannte „generic skills“ und tiefe Denk-Skills, soziale bzw. empathische Fähigkeiten und vor allem Haltungen und Mindsets der Innovation gehen (müssen). Alles andere kann uns die AI abnehmen. Wir werden in diesen Bereichen Innovation im Lernen sehen, die auf den Menschen als Menschen (und seiner Kultivierung) abzielen, als eine/r, der/die der offen ist für die Zukunft und bereit und fähig, diese verantwortungsvoll zu gestalten.
„Kinder sind ein lebendes Beispiel für kreative Gestaltung ihrer Zukunft.“
SE: Wären Sie Teilnehmer des Ideenwettbewerbes, wo würden Sie sich Inspiration suchen?
MP: In innovativen Kindergärten. Im Ernst, Kinder sind ein lebendes Beispiel für kreative Gestaltung ihrer Zukunft und ihrer (Spiel-/Lern-)Umgebungen, da sie noch nicht durch unsere Schulsysteme „verdorben“ und in ihrem Denken und Handeln eingeengt sind.