Hybrides arbeiten

Die Macht der Gemeinschaft und neue Ideen für die Arbeitswelt

Carlo Rattis Vorstellung über die Zukunft der Arbeit

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Das 360°-Team hat sich mit Carlo Ratti getroffen, um seine Meinung zu den Auswirkungen der Pandemie auf sein Unternehmen und zur Bedeutung des Büros für das soziale Miteinander zu erfahren und ihn zu fragen, ob das Büro weiterhin wichtig bleibt.

Experimentieren, Konzipieren und Erschaffen

360º: Wie hat Covid-19 Ihren Blick auf die Zukunft Ihres Unternehmens und des gesamten Industriezweigs beeinflusst?

Carlo Ratti:

Grundsätzlich ermöglicht die Coronakrise einen stärkeren Fokus auf Nachhaltigkeit - in wirtschaftlicher Sicht, aber auch in Bezug auf soziale Themen und Umweltaspekte. Als sich die anfängliche Krise zu einer Pandemie globalen Ausmaßes entwickelte, haben sich die Prioritäten in unserem Büro schlagartig geändert. Zuerst fühlten wir uns verpflichtet zu handeln und unser Wissen sinnvoll einzubringen. Wir erschufen CURA - einen Schiffscontainer, der in eine mobile Intensivpflegestation umgewandelt werden kann und die vollständige medizinische Ausstattung und Biocontainment-Ausrüstung zur Verhinderung der Virenübertragung enthält. CURA während des Lockdown zu entwickeln, war ein echte Herausforderung. Unregelmäßige Kommunikation erschwerte das Vorankommen des Projekts, insbesondere, weil so viele verschiedene Beteiligte involviert waren.

Wir entschieden uns für ein Open Source-Verfahren, bei dem Konzeption und Umsetzung gleichzeitig stattfinden. Software wie Zoom und Teams ermöglichte regelmäßige Besprechungen. Leider sind diese Plattformen noch nicht ausgereift genug, um gemeinsames Skizzieren und Entwerfen und viele weitere Aufgaben, die Architekturbüros durchführen, zu ermöglichen.

Vielfalt im Arbeitsleben

360º: Welche Trends werden Ihrer Meinung nach bleiben und die Art beeinflussen, wie wir auf unsere Kunden zugehen?

CR:

Ich glaube nicht, dass wir einfach da weitermachen werden, wo wir aufgehört haben. Denken Sie beispielsweise an Geschäftsreisen. In der Vergangenheit hielt man Reisen zu geschäftlichen Besprechungen, z.B. von New York nach Singapur, für zwingend notwendig. Das war sowohl in Bezug auf die Umwelt, aber auch aus gesundheitlichen Gründen, natürlich Unsinn.

Jetzt hat sich deutlich gezeigt, dass der technologische Fortschritt so weit vorangekommen ist, dass wir Kommunikation und Geschäfte online zusammenbringen können - und somit hoffentlich auf solche absurden Reisen verzichten können oder zumindest weniger davon stattfinden werden. Ich nehme an, dass sich eine ähnliche Entwicklung auch auf lokaler Ebene abzeichnen wird, da die Arbeit von zu Hause aus ganz selbstverständlich werden wird. Dadurch wird es weniger Pendlerverkehr geben und die Arbeit wird flexibler.

„Ich bin überzeugt davon, dass das Büro als physischer Raum wichtig ist, auch wenn wir es künftig wohl flexibler nutzen werden.“

Carlo Ratti

Bedeutsame Arbeit und Wohlbefinden

360º: Wir haben viel dazu gelernt in der Zeit, in der wir ausschließlich von zu Hause aus gearbeitet haben. Warum denken Sie, dass wir dennoch ins Büro kommen sollten?

CR:

Fernarbeit ist kein neues Konzept. Der Stadttheoretiker Melvin Webber erkannte diesen langfristigen Trend bereits in der 1960ern. Aber nur weil es möglich ist, dass wir an jedem Ort der Welt arbeiten, heißt das noch lange nicht, dass wir das auch wollen. Der Soziologe Mark Granovetter argumentierte bereits im Jahr 1973, dass funktionierende Gesellschaften nicht nur von ‚strong ties‘ (engen Beziehungen), sondern auch von ‚weak ties‘ (lockeren Bekanntschaften) gestützt werden. Enge Beziehungen führen zu engen Netzwerken - unsere Freunde sind häufig auch untereinander befreundet. Durch ‚weak ties‘ entstehen stattdessen weitreichendere und vielfältigere Gruppen. ‚Weak ties‘ können Brücken bilden zwischen verschiedenen Personenkreisen. Dadurch lernen wir neue Ideen und Perspektiven kennen und fühlen uns animiert, unsere vorgefassten Meinungen zu überdenken. All dies fördert die Innovation und Wissensverbreitung. Per Videochat oder Social Media-Plattformen erhalten wir unsere ‚strong ties‘ aufrecht. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass wir dadurch neue etablieren.

Eine während der Pandemie am MIT durchgeführte Studie, an der Studenten, Professoren und Verwaltungsangestellte teilnahmen, bestätigt dies. Wir betrachteten zwei Kommunikationsnetzwerke - eines illustriert, welche Interaktionen stattfanden, bevor der Campus geschlossen wurde. Das andere zeigt die Interaktionen während des Shutdown. Es besteht noch weiterer Validierungsbedarf, aber die ersten Resultate der Studie deuten an, dass weniger Interaktionen stattfinden und die Teilnehmer sich nur noch mit einer kleinen Gruppe an Kontakten austauschen. Kurz gesagt: bestehende ‚strong ties‘ werden gestärkt, während die ‚weak ties‘ sich allmählich auflösen.

Gemeinschaft am Arbeitsplatz gestalten

360º: Wie beschreiben Sie die Rolle des physischen Raums in Ihrem Unternehmen und wie unterstützt dieser die Unternehmensziele?

CR:

Wir versuchen, wo es geht, ‚weak ties‘ zu schaffen. In unserem Bürogebäude in Italien gibt es große Gemeinschaftstische, einen begrünten Hof mit weiteren Tischen, wöchentliche Treffen nach Feierabend und noch zusätzliche Gemeinschaftsarbeitsbereiche. Wir möchten damit den sogenannten „Cafeteria-Effekt“ erzielen - es gibt keine bessere Möglichkeit, um ‚weak ties‘ zu etablieren, als am selben Tisch in der Cafeteria zusammen Zeit zu verbringen. Letztlich könnte uns eine genauere Quantifizierung der menschlichen Interaktionen am Arbeitsplatz wichtige Hinweise dazu geben, wie Büros in Zukunft gestaltet werden sollten. Das Verhalten der Anwesenden im Raum und deren Beziehungen zueinander könnten in Echtzeit über Sensoren gemessen werden und wertvolle Erkenntnisse zur Gestaltung neuer Gebäude und Möbel bieten.

Carlo Ratti ist ein italienischer Architekt, Ingenieur, Erfinder, Lehrer und Aktivist. Er lehrt als Professor am Massachusetts Institute of Technology und leitet dort das MIT Senseable City Lab, eine Forschungsgruppe, die sich damit befasst, wie neue Technologien die Art und Weise, wie wir Informationen aufnehmen, ändern, Design beeinflussen und letztlich unser städtisches Leben neu definieren.

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