Das Wohlbefinden der Mitarbeiter durch die Arbeitsplatzgestaltung erhöhen
Initiativen wie Beratungsangebote für Mitarbeiter sollten nur einen kleinen Teil einer umfassenden Strategie für mehr Wohlbefinden ausmachen
Ist es möglich, den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass die Angestellten ihn gesünder verlassen, als sie ihn betreten?
Mit dieser Frage setzen sich engagierte Arbeitgeber heutzutage immer häufiger auseinander – aus gutem Grund. Es wird zunehmend wichtiger, sich für das Wohlbefinden der Angestellten einzusetzen. Wer es nicht tut, geht ein Risiko ein.
Denn der Stress am Arbeitsplatz nimmt zu, was zu einem Anstieg der Krankheitstage und der Kosten sowie zu einer Verringerung der Produktivität und des Umsatzes führt. Forschungsergebnisse des Gallup Marktforschungsinstituts zeigen, dass ganze zwei Drittel der Vollzeitangestellten einen arbeitsbedingten Burnout erleiden. Die Weltgesundheitsorganisation hat Burnout als ernstzunehmendes arbeitsbedingtes Problem eingestuft, „das entsteht, wenn auf chronischen Stress am Arbeitsplatz nicht adäquat reagiert wird“.
Gleichzeitig stehen weltweit immer weniger qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung. Diese können somit sehr viel anspruchsvoller bei der Auswahl der Unternehmen sein, für die sie arbeiten möchten. Dies trifft insbesondere auf die Millennials zu, die inzwischen größte auf dem Arbeitsmarkt vertretene Generation.
Diese Generation der Angestellten hat ihre eigenen Vorstellungen davon, was Arbeitgeber bieten sollten und zeigt insgesamt deutlich weniger Loyalität gegenüber Unternehmen. Laut einer 2018 von Deloitte durchgeführten Studie, an der Angestellte aus 36 Ländern teilnahmen, planen 43% der Millennials, ihre jetzige Stelle im Laufe der nächsten zwei Jahre zu wechseln, um für ein Unternehmen zu arbeiten, das ihnen angenehmere Rahmenbedingungen bietet.
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Arbeitgeber inzwischen bereit sind, ihre Strategien zur Erhöhung des Wohlbefindens am Arbeitsplatz zu überdenken und alle dazugehörigen Aspekte kritisch zu untersuchen – von Sozialleistungen über Vergünstigungen bis hin zum Arbeitsplatzdesign. Sie sind enttäuscht vom geringen Erfolg von Initiativen zur Steigerung des Wohlbefindens, wie z.B. Beratungsangeboten für die Mitarbeiter. Allerdings ist vielen Unternehmen auch nicht klar, welche Richtung sie als nächstes einschlagen sollten.
Eine Kultur des Wohlbefindens
Für den Pharmazieriesen Boehringer Ingelheim war es im Laufe der 130-jährigen Erfolgsgeschichte des Familienunternehmens immer von zentraler Bedeutung, seinen Angestellten einen großartigen Arbeitsplatz zu bieten. Heute hat das Unternehmen mehr als 50.000 Angestellte an über 180 Standorten in Europa, Nord- und Südamerika und Asien. Nichtsdestotrotz ist es dem Unternehmen weiterhin ein großes Anliegen, eine Kultur zu leben, die progressiv und fürsorglich zugleich ist.
„Es ist wichtig, dass wir den Mitarbeitern ermöglichen, kreativ und innovativ zu sein“, sagt Hagen Mörbel, der die Gestaltung der neuen, modernen Anlage am Stammsitz des Unternehmens im schwäbischen Biberach übernommen hatte.
Die Anlage beheimatet seit 2018 die weltweit größte Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Unternehmens und wurde mit großer Sorgfalt als agile Arbeitsumgebung gestaltet, in der Teamwork und Innovation erfolgreich umgesetzt werden können. Um dies zu ermöglichen, war es allerdings nötig, sich von den traditionell in Deutschland beliebten Einzelbüros zu verabschieden und stattdessen eine von Mörbel als „Smart Design“ bezeichnete offene Arbeitsumgebung zu erschaffen.
Anwenderorientiertes Design
Ein Großteil dessen, was in den neuen Räumlichkeiten als ‚smart‘ bezeichnet werden kann, ist darauf zurückzuführen, dass die Angestellten sich bei der Gestaltung der Räume einbringen konnten. Die Mitarbeiter wollten zwar besser im Team zusammenarbeiten, wünschten sich gleichzeitig aber auch ruhige Ecken und Rückzugsorte, an denen sie völlig ungestört arbeiten konnten.
“Die Arbeit wird schwieriger und komplexer. Es werden mehr Mitarbeiter dafür benötigt. Jetzt haben wir Räume, die Energie zurückgeben.“
Hagen MörbelProject Manager
Laut Mörbel fühlen sich Europäer generell in großen, offenen Umgebungen, in denen sehr viele Mitarbeiter arbeiten, weniger wohl als Menschen aus den Vereinigten Staaten. Diese kulturelle Diskrepanz beeinflusste die Entscheidung, im neuen Gebäude in Biberach anstatt großflächiger offener Räume kleine Zonen für 12 bis 40 Personen zu schaffen.
Bei der Raumplanung stellte sich außerdem heraus, dass die Angestellten generische, standardmäßige Räume wenig inspirierend fanden. Es war allerdings ganz besonders wichtig einen Weg zu finden, wie sich die 800 Mitarbeiter, die ihre Einzelbüros verlassen würden, um im neuen Gebäude zu arbeiten, mit ihrem Unternehmen identifizieren und ein Gefühl der Zugehörigkeit entwickeln konnten. Aus diesem Grund bat man die Mitarbeiter um Hilfe bei der Auswahl von großen Fotografien nahegelegener Orte, die an den Wänden der neuen Räume angebracht werden sollten.
„Bei uns hängen keine Fotos von den Malediven, Costa Rica oder irgendeinem anderen weit entfernten Ort“, erläutert Mörbel. „Wir sehen Bilder von vertrauten Orten. Dadurch können sich die Angestellten gut mit ihrem Arbeitsplatz identifizieren.“
Aber so ansprechend die neue Anlage auch ist – ihr Zweck geht laut Mörbel weit über ihre äußere Erscheinung hinaus: „Es geht darum, Energie anzuregen. Die Arbeit wird schwieriger und komplexer. Es werden mehr Mitarbeiter dafür benötigt. Jetzt haben wir Räume, die Energie zurückgeben.“
Das Wohlbefinden am Arbeitsplatz lässt sich steigern, wenn Unternehmen ihre Ressourcen und Zeit auf Strategien ausrichten, die nicht in erster Linie auf die Senkung der Gesundheitsausgaben und eine erhöhte Produktivität abzielen. Anstatt sich hauptsächlich darauf zu konzentrieren, dass sich die Investitionen in das Wohlbefinden der Mitarbeiter fürs Unternehmen finanziell bemerkbar machen, geht es vielen Unternehmen heute darum, einen Mehrwert zu schaffen, indem sie sich besser um ihre Angestellten kümmern.
Im Gegenzug für diese Bemühungen sind ihre Angestellten loyaler und engagierter und fühlen sich ihrem Unternehmen verbunden.